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13.10.2012

Miteinander tauchen – Inklusion im Tauchverein

Verfasst von Claire Girard
Kategorie Aktuelles

Wie ist es beispielsweise mit fehlenden Gliedmaßen, mit einer Querschnittslähmung oder einer Sehbehinderung zu tauchen? Worauf ist zu achten, wenn man das Tauchen mit Menschen mit Behinderungen im eigenen Verein anbieten möchte? Was genau muss berücksichtigt werden? Keiner der 22 Teilnehmer der Weiterbildung „Zusatzqualifikation - Tauchen mit Behinderung“, die vom 28.9. bis 30.9.2012 in Geeste stattfand, konnte sich das vor dem Seminar vorstellen.



Recht bald war das vom Verband Deutscher Sporttaucher e.V. (VDST) angebotene und bei der Tausportgemeinschaft Lingen unter der Leitung von Jürgen Schonhoff organisierte Seminar "Zusatzqualifikation – Tauchen mit Behinderung" ausgebucht. Zurecht! Denn das Thema der Inklusion, also des „miteinander und mittendrin“ bzw. die Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wird schon viel zu lange stiefmütterlich behandelt. Doch auch wenn die gleichberechtigte Teilnahme aller Bürger an allen Bereichen der Gesellschaft selbstverständlich sein sollte, sie ist es heute noch immer nicht, trotz der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die seit 2009 in der Bundesrepublik rechtsverbindlich ist. Es fällt auf, dass viele der Schwimmbäder, in denen trainiert wird, gar nicht oder unzureichend ausgestattet sind. Oftmals ist der Zugang zur Schwimmhalle nicht barrierefrei. Obwohl Rampen für Rollstuhlfahrer vielfach vorhanden sind, wurden manchmal die Gänge zu den Umkleiden zu eng geplant oder es fehlt an sicheren Sitzmöglichkeiten unter der Dusche. Hebesitze zum Ein- und Austeigen aus dem Becken, wenn überhaupt vorhanden, werden nicht gewartet bzw. das Personal weiß nicht, wie sie bedient werden. Dies sind lediglich Beispiele für den hindernisfreien Zugang zu den Sportstätten, der noch immer nicht überall gewährleistet wird.

Ein weiteres, bei weitem größeres Hindernis liegt in den Vorurteilen und Ängsten der Menschen, also in den festgefahrenen Mentalitäten, die es zu bekämpfen gilt. Es „ist wie beim Apnoe, ein langer Atem ist auch mal gut!“ (Zitat Norbert Wotte) Diejenigen, die etwas verändern wollen, müssen mit einer gehörigen Portion Geduld und Selbstvertrauen ausgestattet sein, um ihre Vorstellung eines gemeinsamen Lebens trotz aller Andersartigkeiten um- bzw. durchzusetzen. Vielen Mitbürgern fehlt das Bewusstsein für die Bedürfnisse und den Umgang mit Menschen mit Behinderungen sowie der Blick für die Kleinigkeiten, die ihnen das Leben erleichtern können. Dieses Bewusstsein gilt es zu wecken und zu fördern. Tauchen als Breitensport ist hierfür hervorragend geeignet. Denn beim Tauchen geht es viel um Vertrauen: Vertrauen in seine Ausbilder, in seine Ausrüstung, in seinen Tauchpartner. Indem Tauchvereine sich Menschen mit Behinderungen öffnen, leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen und Ängsten im Umgang mit behinderten Menschen. Darüber hinaus bietet Wasser Menschen mit Lähmungen eine Entlastung des Skeletts und die Möglichkeit des Muskelaufbaus. Es hat somit ebenfalls eine positive Auswirkung auf ihre Gesundheit und ihr Selbstbewusstsein. In der Tat können erfahrene behinderte Taucher, je nach Art und Grad der Behinderung, auch für ihre Partner und deren Sicherheit im Wasser sorgen und sind nicht mehr diejenigen für die gesorgt werden muss. Außerdem erlangen sie im Wasser einen Freiheitsgrad, der ihnen an Land verwehrt bleibt.

Ebenso wie in der Ausbildung gesunder Taucher, sollte bei behinderten Tauchern darauf Wert gelegt werden, sie möglichst vieles allein machen zu lassen, um ihre Selbständigkeit zu fördern. Ausbilder sollten nur da Hand anlegen, wo es wirklich nötig ist. Auch sollte die Ansprache, sofern es sich nicht um eine geistige Behinderung handelt, die gleiche sein, wie bei gesunden Tauchern. Bei Tauchern mit geistiger Behinderung sollte sie analog zur Kinderausbildung einfacher strukturiert sein. An dieser Stelle ist von den Ausbildern ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen gefragt.

Aber nicht nur da: Während des Seminars wurde auch deutlich, dass Tauchen für und mit Menschen mit Behinderung nicht erst am Beckenrand anfängt. Schon vorab ist es wichtig, ein Gespräch zu führen, um zu erläutern, was auf den behinderten Menschen zukommen wird und welche Erwartungen an die Tauchbegleiter gestellt werden. In diesem vertrauensschaffenden Gespräch geht es auch darum vorab zu erklären, wie der Tauchgang ablaufen wird. Dabei soll dem behinderten Menschen die Sicherheit vermittelt werden, dass sein Tauchausbilder genau weiß, was er tut und er sich dementsprechend bedenkenlos in dieses neue Abenteuer stürzen kann. Hier sollten auch Fragen geklärt werden, die für den Umgang mit behinderten Menschen im Schwimmbad wichtig sind: Wieviel Unterstützung braucht beispielsweise ein querschnittsgelähmter Taucher in der Umkleide und unter der Dusche? Kann er sich allein vom Rollstuhl auf den Beckenrand setzen? Wo wird das Gerät angezogen? Wie sehen die Unterwasser-Zeichen bei blinden Tauchern aus? Wie, wann und wie oft wird der Druckausgleich bei Personen gemacht, wenn sie es nicht selbstständig können? Welche Ausrüstung ist für einen Tauchgang mit einem behinderten Taucher am besten geeignet? Welche Hilfsmittel stehen im Schwimmbad zur Verfügung? Wo und wann wird das Briefing gemacht? Eine funktionierende Kommunikation auf Augenhöhe ist in jeglicher Hinsicht wichtig, um die zum Tauchen notwendige Vertrauensbasis zu schaffen.

Doch wie können Vereine vorgehen? Im Laufe des Wochenendes ist allen Teilnehmern klar geworden, dass es nur mit der Unterstützung der Vereinsmitglieder geht. So engagiert auch einzelne sein mögen, wenn der Sockel im Verein nicht stabil genug ist, wird das Projekt am Ende vermutlich scheitern und die Folgen schlimmstenfalls ins Gegenteil verkehrt werden. Deshalb ist es wichtig, das Projekt Inklusion im Tauchverein auf einer möglichst breiten Basis aufzubauen. Das braucht nicht nur Zeit und viel Überzeugungsarbeit, sondern ein wohlüberlegtes Konzept, das nach und nach im Verein umgesetzt wird. Der Verein sollte darauf achten, dass seine restlichen Aktivitäten nicht darunter leiden. Bedenken aus den Reihen der Vereinsmitglieder sollten nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern ernst genommen werden und durch eine gute Vorbereitung und Aufklärung auf ein Minimum reduziert werden. Wer zum Beispiel eine starke Kinderabteilung hat, sollte dafür sorgen, dass „seine“ Kinder nicht zu kurz kommen. Dafür bedarf es eines großen Ausbilderteams, denn die personelle Anforderung liegt, je nach Art und Grad der Behinderung, mit zwei Betreuern/Ausbildern/Begleitern zu einem behinderten Menschen in vielen Fällen doppelt so hoch wie bei der Ausbildung gesunder Taucher. Wenn sich im Verein eine breite Basis gefunden hat, sollten für die Umsetzung des Vorhabens alle möglichen unterstützenden Organisationen angefragt werden, die zur Verfügung stehen. Im Saarland könnte zum Beispiel die Organisation „Miteinander Leben Lernen e.V.“, die sich für die Inklusion in Kindertagesstätten und Schulen einsetzt, der richtige Ansprechpartner sein. Für die Ausbilder besteht in einigen Bundesländern die Möglichkeit, die Trainer C-Lizenz Breitensport auf Behindertensport zu erweitern.

Das Projekt LinaS, Lingen integriert natürlich alle Sportler, das am zweiten Tag von Stefan Kroge (Christophorus Werk) vorgestellt wurde, hat deutlich gemacht, wie wichtig die Verzahnung aller Akteure ist, um die Inklusion voran zu treiben. Erst wenn Sport- und Behindertenverbände, Vereinsmitglieder, Sponsoren und politische Entscheidungsträger auf verschiedenen Ebenen gemeinsam im Boot sitzen, kann ein Projekt, egal welches, zielführend umgesetzt werden, seine volle Kraft entfalten und von Erfolg gekrönt werden.

Norbert Wotte, Lehrgangsleiter und Landesausbildungsleiter Niedersachsen, und Cordula Reich, stellvertretende Ressortleiterin "Tauchen mit Behinderung" im VDST, haben es geschafft mit einer gelungenen Mischung aus Kompetenz, Humor, Ernsthaftigkeit und Berichten über persönliche Erfahrungen, das Bewusstsein der 22 Teilnehmer aus mindestens acht Landesverbänden für die Bedeutung des Themas Inklusion noch weiter zu schärfen. Der Austausch in Form von Diskussionen während der Vorträge wurde als bereichernd empfunden und hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass alle mit dem Kopf voller neuer Anregungen, Ideen und Eindrücke nach Hause fuhren.

An dieser Stelle sei Jürgen Schonhoff, Ressortleiter für "Tauchen mit Behinderung"  im VDST und 1. Vorsitzender der TSG Lingen, und seinem achtköpfigen Team gedankt für die großartige Organisation des Seminars bis hin zum Lunchpaket für die Rückfahrt. Die Unterbringung im Ferienhauspark Emspark Auenwald hätte nicht besser sein können. Das Organisationsteam ließ keine Wünsche offen, sogar die Ausrüstung für tauchwütige Seminarteilnehmer wurde zur Verfügung gestellt. Die kurzfristige Absage des Hauptreferenten wurde hervorragend aufgefangen von Dr. Vera Jaron, Vize-Präsidentin im Behinderten Sportverband Niedersachsen mit ihrem allgemeinen Vortrag zum Thema Sport und Tauchen mit Behinderung und Dr. Hendrik Kühling, GTÜM-Arzt und Facharzt für Chirurgie, dessen Präsentation den Fokus auf die medizinischen Aspekte sowie den GTÜM-Richtlinien lenkte. Beide haben sich mit viel Engagement und fachlicher Kompetenz kurzfristig eingebracht und hoben die Wichtigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Taucher mit Behinderung, dessen Hausarzt bzw. behandelnden Arzt, dem GTÜM-Arzt und den Ausbildern hervor. Als außenstehende Beobachter haben Dick und Richard Lukas, Präsidenten von NAUI Europe, mit einem weiteren Mitarbeiter dem Seminar am ersten Tag beigewohnt. Am Ende des Tages haben auch sie sich aktiv eingebracht und über ihre eigenen Erfahrungen berichtet. Ferner konnten sie durch ihr Feedback nach den praktischen Übungen, den Seminarteilnehmern wertvolle Tipps geben.

Als Fazit bleibt nur zu sagen, dass das Tauchen mit behinderten Tauchpartnern eine Bereicherung für alle darstellt.

Weitere Infos unter:

http://bcove.me/wph5jrkl
http://bcove.me/qa74t9ru

Text: Claire Girard, TC Manta

Fotos: Jürgen Bernhard (TC Manta) und Hubert Peus (TG Lingen)